Mit der Uraufführung der Oper "Das Treffen in Telgte" am Sonntag, den 6. März 2005 feierte das Theater Dortmund sein 100-jähriges Bestehen. Der Kultur-Freundeskreis hatte zu diesem Anlass für mehr als 100 Opernfreunde aus Telgte und Umgebung eine gemeinsame Fahrt nach Dortmund organisiert.
Die Erzählung von Günter Grass "Das Treffen in Telgte" wurde vom Dresdner Komponisten Eckehard Mayer musikalisch umgesetzt und von Christine Mielitz inszeniert. Die musikalische Leitung der Dortmunder Sinfoniker hatte Arthur Fage. Angelehnt an die Erzählung versammeln sich in der Oper ein gutes Dutzend illustrer Poeten mitsamt dem Komponisten Heinrich Schütz und diskutieren ebenso barock wie sinnenfroh und geistreich über das Verhalten von Künstlern in bedrohter Zeit, über Macht und Ohnmacht der Kunst und die alle Zeiten überdauernde Kraft der Dichtung: den Jammer der Welt zu benennen und der Ohnmacht ein leises "Dennoch" entgegen zu stellen.
"Überraschend und schön" sei es für ihn gewesen, seinen Text in der modernen Operninszenierung so dramatisiert und verfremdet zu erleben, sagte Günter Grass am Sonntagabend in Dortmund. Unser Bild zeigt den Literaturnobelpreisträger im Gespräch mit Bürgermeister Dr. Dietrich Meendermann und Simone Thieringer vom städtischen Kulturbüro.
Im Beisein der 100 Premierengäste aus Telgte verteilte Dortmunds Oberbürgermeister Dr. Gerhard Langemeyer ein pauschales Lob an alle Mitwirkenden. Zu seinem 100-jährigen Bestehen habe das Dortmunder Theater nicht versucht, mit einer Hitparade des Belcanto zu brillieren, sondern sich an einen schwierigen Stoff herangewagt.
Lesen Sie folgenden Bericht der Westfälischen Nachrichten von Dienstag, den 8. März 2005:
"Ich wollte das Buch vergessen"
Opernpremiere vom "Treffen in Telgte" / Meendermann lädt Grass ein
Telgte. (Roland Greife) Es gibt nicht viele Städte in Europa, die im Titel einer Oper auftauchen. "Der Barbier von Sevilla" fällt einem spontan ein. Wer sich ein bisschen auskennt, weiß auch den "Tod in Venedig" zu nennen. Und seit Sonntagabend befindet sich Telgte in diesem erlesenen Kreis. In Dortmund feierte "Das Treffen in Telgte" Premiere.
Der Schlussapplaus nach der über dreistündigen Vorführung - durchsetzt von vereinzelten Buhrufen - war aufrichtig; enthusiastisch wurde er aber erst, als der Autor der Romanvorlage auf die Bühne kletterte. Christine Mielitz (Inszenierung) hatte Günter Grass von seinem Platz im Parkett, Reihe 16, abgeholt. Mit stehenden Ovationen feierte das Publikum den Literaturnobelpreisträger.
Hat er sein Werk in der modernen Oper noch wieder erkannt? "Ich hatte mir vorgenommen, das Buch zu vergessen", so Grass gegenüber den WN. "Wenn man sich zu eng daran gehalten hätte, wäre es vermutlich daneben gegangen." Er sprach nachher von einer "interessanten, benahe choreografischen Inszenierung". Besonders gefallen habe ihm, wie die Vielzahl von Figuren miteinander ins Gespräch gebracht wurden. Und die erotischen Szenen, die im Roman eher beiläufig blieben, seien in der Oper stärker ins Blickfeld gerückt. Für ihn sei es überraschend und schön gewesen, seinen Text so dramatisiert und verfremdet zu erleben. Wie sehr sich die Texte in Buch und Oper unterschieden, konnten die Premierengäste oft nur erahnen. Der Gesang war größtenteils schlecht zu verstehen.
Das bedauerten auch viele der rund 100 Besucherinnen und Besucher aus Telgte. Der Kultur-Freundeskreis hatte die Fahrt nach Dortmund organisiert. Die Stadt, so Bürgermeister Dr. Dietrich Meendermann bei der anschließenden Premierenfeier, sei durch die Erzählung international bekannt geworden. Er nutzte die Chance, Grass für 2008 zu dem Schriftstellertreffen einzuladen, das in Anlehnung an das Buch im Zweijahresrhythmus stattfindet. "Es wäre schön, wenn Sie mal wieder nach Telgte kommen."
Wie haben die Telgter, die dabei waren, die Premiere empfunden? Ein Stimmungsbild: "Das war ausgesprochen schwere Kost", so Dr. Hans-Martin Müller, Vorsitzender des Kultur-Freundeskreises. "Ob ich's mir noch mal antun würde, weiß ich nicht." Tobias Köhler, künstlerischer Leiter der Kammerkonzertreihe des Vereins, war die Musik zu gleichförmig. "Die Sänger hatten es schwer", so Köhler. Es spreche nicht für den Komponisten, wenn er es nicht schaffe, das Stück in zwei Stunden unterzubringen.
"Ich fand's toll, vor allem die zweite Hälfte", sagte Ursula Lorke, ausgewiesene Grass-Kennerin und Fremdenführerin bei der Stadttouristik. Sie hätte sich allerdings Texteinblendungen gewünscht, um den Gesang besser nachvollziehen zu können. "Eine sehr sperrige Inszenierung für ein sehr sperriges Werk, das größtenteils kongenial in Szene gesetzt wurde", kommentierte Wolfgang Pieper, Vorsitzender des Kulturausschusses.
"Es war klar, dass es kein fliegendes Klassenzimmer werden würde", so Hermann Wallmann, Moderator der Schriftstellertreffen in Telgte. Er habe zwar gewusst, dass in der Erzählung einiges drin stecke, aber dass sie so viel dramaturgisches Potenzial besitze, habe er nicht für möglich gehalten. Als "ganz besonders stimmig" hat Dr. Klaus Anderbrügge vom Vorstand der Stiftung Westfalen Initiative den Abend erlebt. "Es hat sich gelohnt." Die Westfalen-Stiftung hatte das jüngste Schriftstellertreffen 2004 finanziell gefördert.
Am 11. März und 22. April ist die Oper abermals in Dortmund im Theater zu sehen.