Konzert-Rezension: Kammerphilharmonie St. Petersburg

Orchesterkonzert

Sonntag, 17. Oktober 2004

19.30 Uhr, Bürgerhaus Telgte

 

Russische Kammerphilharmonie St. Petersburg

Michel Gershwin, Solo-Violine

Dirigent: Juri Gilbo


Westfälische Nachrichten vom 19.10.2004

von Dr. Johannes Hasenkamp

Ein Ohrenschmaus feinsinniger Interpretationen

Russische Kammerphilharmonie gastierte im Bürgerhaus

Telgte. Ein Ohrenschmaus! Die Russische Kammerphilharmonie, ein 16-köpfiges Streichorchester von Absolventen des St. Petersburger "Rimski-Korsakow"-Staatskonversatoriums, spielte am Sonntag im Bürgerhaus das zweite Konzert des Kultur-Freundeskreises in dieser Saison.

 

Zog das Orchester an, zog die Herkunft aus einem fernen Land, zog das Programm? Jedenfalls: Das Haus war voll. Die Hörer genossen ein populäres Programm auf der harmonischen Grundlage des 19. Jahrhunderts, das keinerlei Hörschwierigkeiten bot, leider auch kein neueres Werk aus Russland, etwa Schostakowitsch, Prokoffiew oder Schnittke. Dabei verhieß der Untertitel doch "Kulturen im Dialog - Deutsch-Russische Kulturbegegnungen".

 

Angesichts des profunden Könnens hätten sich die Hörer beruhigt zurücklehnen können. Doch die Petersburger Musiker fesselten alsbald die Aufmerksamkeit des Publikums. Die Kammerphilharmonie verwirklichte konsequent das Kammerspielhafte, das feine, klare und durchsichtige Miteinander und Gegeneinander der Stimmen, und vermied vordergründige knallige Effekte.

 

Gleichwohl hätte man sich an einigen Stellen einen noch energischeren und kraftvolleren Zugriff gewünscht. Doch vor dem Orchester stand Juri Gilbo, und der war vor allem auf Kammerspiel bedacht: auf Klarheit und Schwung. So bot er mit dem Orchester fabelhafte Piano- und Pianissimo-Passagen, die zu den spannendsten Augenblicken des Abends wurden. Er versuchte erst gar nicht, aus dem kleinen Orchester das Klangvolumen großer Symphonieorchester herauszuholen und passte dadurch diesen Abend schön in die bevorzugt von Kammermusik bestimmte Konzertreihe ein.

 

Edvard Griegs "Suite im alten Stil" op. 40 "Aus Holbergs Zeit" ist eine Referenz an seinen literarischen Landsmann Ludvig Baron von Holberg, der zu Zeiten Bachs und Händels lebte. Mit seinen zum größten Teil sehr jungen Musikern vermittelte Gilbo sehr schön das Barocke dieser Musik, die mit ihren feinen klanglichen und dynamischen Abstufungen keineswegs das Romantische verleugnet. Zudem verbreitet die Musik ein wenig "nordische Stimmung", jedenfalls das, was die Romantik darunter verstand.

 

Auch die Fantasie für Violine und Streichorchester "Porgy und Bess" von George Gershwin in der Bearbeitung von Tilmann Koester forderte vom Hörer, dass er sich erst einmal vom opulenten Klangbild eines symphonischen Opernorchesters verabschiedete. Den Part der Singstimmen und feine Übergänge übernahm sehr dezent, elegant und mit virtuosen Zügen der in demselben Konservatorium ausgebildete Geiger Michael Gershwin. Dieser Abschnitt führte sehr feinsinnig in eine andere Welt. Und als ob das ein Stichwort wäre, zogen Geiger und Orchester mit ihrer Zugabe in die Welt des südamerikanischen Tangos von Astor Piazolla.

 

Zurück nach Russland! Meist wird eine Aufführung von Tschaikowskys beliebter Streicherserenade op. 48 zu einem rauschenden Klangfest. Hier herrschte diesmal ein eher kammermusikalischer, eben sehr feiner Ton, besonders in dem Larghetto elegiaco. Eher reißerisch folgte darauf als weitere Zugabe eine Bearbeitung aus Leonard Bersteins "West Side Story". Da waren die Hörer plötzlich wieder in einem anderen Amerika!

 

Großer Beifall, besonders für die Konzertmeisterin und den Kontrabassisten!